Physiotherapie: Was macht ein Physiotherapeut eigentlich genau?

16. Februar 2021
physiotherapie in oesterreich

Wow toll, du bist Physiotherapeutin? Dann kannst du bestimmt toll massieren!

Das Berufsbild Physiotherapie umfasst definitiv mehr als Massieren und Vorturnen. Doch was macht ein Physiotherapeut eigentlich genau? In diesem Beitrag möchte ich mit den gängigsten Klischees rund um den Beruf Physiotherapie aufräumen. Die meisten, die noch nie eine Physiotherapie in Anspruch nehmen mussten, haben keine Idee, was Physiotherapeuten eigentlich genau machen. Wenn ich erzähle, dass ich Physiotherapeutin bin, denken viele, dass ich den ganzen Tag massiere. Das ist aber bei Weitem nicht alles.

Masseuse oder Turntante?

Physiotherapie beinhaltet einerseits die Vermeidung von Funktionsstörungen des Bewegungssystems, die Erhaltung und Wiederherstellung der natürlichen Bewegungsabläufe und andererseits die Symptomverbesserung –kontrolle und -begleitung, um dem/der PatientIn eine optimale Bewegungs- und Schmerzfreiheit, Selbständigkeit bzw. Lebensqualität zu ermöglichen.

PhysioAustria (Bundesverband der PhysiotherapeutInnen Österreichs)

Kurz zusammengefasst: Wir kümmern uns um Schmerzen, Bewegungseinschränkungen oder/und Funktionsstörungen. Physiotherapie wird in fast allen medizinischen Bereichen eingesetzt und soll Menschen dabei unterstützen, das Höchstmaß an Selbstständigkeit und Lebensqualität zurück zu erlangen. Dabei kann es um einen gebrochenen Arm gehen, der nach der Gipsabnahme schmerzhaft oder unbeweglich ist oder beispielsweise um Einschränkungen nach einem Schlaganfall.

erste physiotherapie einheit

Was gehört zum Beruf eines Physiotherapeuten

Das Berufsbild der/s PhysiotherapeutIn beinhaltet die Planung, Gestaltung und Durchführung des physiotherapeutischen Prozesses.

PhysioAustria (Bundesverband der PhysiotherapeutInnen Österreichs)

Der physiotherapeutische Befund

Physiotherapeuten dürfen in Österreich zwar nur auf Anordnung eines Arztes arbeiten (also nur mit Überweisung), sind aber innerhalb ihrer Maßnahmen eigenverantwortlich tätig. Eine ärztliche Diagnose ist wichtig, um andere Erkrankungen auszuschließen, die für eine Physiotherapie nicht geeignet sind oder eine andere Behandlung fordern. Die physiotherapeutische Diagnose hingegen ist die Basis für das praktische Handeln des Therapeuten. Diese physiotherapeutische Diagnose wird im Rahmen der ersten Physiotherapieeinheit erstellt.

Während des physiotherapeutischen Befundes wird analysiert, welche Strukturen (Muskel, Gelenk, Sehne, Nerv, etc.) die Einschränkung verursachen und welche Defizite vorhanden sind. Die Ergebnisse werden genau dokumentiert und dienen als Wiederbefundparameter für die nächsten Einheiten. Die Qualitätssicherung in Form von Wiederbefunden wird immer wichtiger für die Bewilligung von Therapien durch die Krankenkassen.

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Die erste Physiotherapie Einheit: Ein Beispiel aus der Praxis

Herr K. und der gebrochene Arm

Herr K. ist beim Schifahren gestürzt und hat sich den Arm gebrochen. Der Bruch wurde konservativ (also ohne Operation) mit einem Gips versorgt. Nach der Gipsabnahme stellt Herr K. fest, dass er seinen Arm nicht gut bewegen kann und dass ihm die Kraft fehlt. Er geht zum Hausarzt, welcher ihn zur Physiotherapie überweist. Er recherchiert, welcher Therapeut in seiner Umgebung auf Traumatologie und Orthopädie spezialisiert ist und vereinbart einen Termin.

Kennenlernen und anamnestisches Gespräch

Die erste Physiotherapieeinheit beginnt mit einem Gespräch. Ich erkundige mich, wie es zur Verletzung gekommen ist, welche Behandlung bereits stattgefunden hat und sehe mir mitgebrachte Befunde aus dem Krankenhaus an. Herr K. hat auch daran gedacht, seine aktuellen Röntgenbilder mitzubringen, die mir weitere Einblicke in die Verletzung bringen. Nun besprechen wir, bei welchen Tätigkeiten Herr K. die meisten Beschwerden hat und wann Schmerzen auftreten. Auch über persönliche Dinge (Beruf, Hobbies, soziale Situation) wird gesprochen, um die Therapie besser auf die individuellen Bedürfnisse und Ressourcen abstimmen zu können.

Nun legen wir ein gemeinsames Therapieziel fest. Herr K. wünscht sich im Sommer wieder Tennisspielen zu können. Momentan, so berichtet er mir, kann er nicht einmal seine Kaffeetasse halten ohne Schmerzen zu spüren. Im nächsten Schritt gilt es heraus zu finden, welche Strukturen (Muskel, Gelenk, Nerv, etc.) für diese Einschränkung verantwortlich sein könnten.

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Die physiotherapeutische Untersuchung

Nun findet der zweite Teil der Therapieeinheit statt: die Untersuchung. Diese besteht aus einer Reihe von Tests, die möglichst objektiv und messbar sind. Zuerst wird ein Sichtbefund gemacht:

  • Schwellung
  • Rötung
  • etc.

Als nächstes folgt die Palpation (Tastbefund): Dokumentiert wird die Temperatur, Schweiß, etc. Die Beweglichkeit der Hand wird mit einem Winkelmesser gemessen und ebenfalls genau dokumentiert. Die Dokumentation ist besonders wichtig, um Vergleichswerte für den Therapieverlauf festzulegen. Dadurch kann man schließlich kontrollieren, ob die Therapie wirkt und sich die Situation von Herrn K. verbessert. Weiteren Bereiche, die untersucht werden, sind z.B. Feinmotorik, Kraft und Sensibilität.

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Erste Maßnahmen: Probebehandlung und Hausübungprogramm

Nach der genauen Befundung werden erste Maßnahmen gesetzt. Das könnte zum Beispiel die Mobilisation der eingeschränkten Bewegung in Form von Manual Therapie sein. Damit Herr K. zuhause gleich mitarbeiten kann, erarbeiten wir außerdem eine Übung für die Eigenmobilisation. In den folgenden Therapieeinheiten wird behandelt, wiederbefundet, geübt, trainiert, besprochen, usw. Ich kann hier an diesem Punkt nur betonen, dass es sich um eine Zusammenarbeit handelt, die nur erfolgsversprechend ist, wenn Patient und Therapeut ihr Möglichstes tun.

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Dieses Beispiel soll einen kleinen Einblick geben, wie die erste Therapieeinheit abläuft. Natürlich ist das nur ein grober Überblick:-)

Einsatzgebiete der Physiotherapie

Ich stelle immer wieder fest, dass es bei weitem nicht klar ist, in welchen Bereichen Physiotherapeuten eigentlich arbeiten. Die bekanntesten Bereiche sind die Orthopädie und Traumatologie, wo es darum, geht mit Knochen, Muskeln und Gelenken zu arbeiten. Doch eigentlich sind die Einsatzgebiete von Physiotherapeuten weit aus größer. Fast in allen Bereichen der Medizin werden Physiotherapeut/Innen eingesetzt, um die Selbstständigkeit und Lebensqualität zu sichern und zu verbessern. Ich habe euch hier alle Bereiche mit einigen Beispielen aufgelistet:

  • Chirurgie
    • Handchirurgie, z.B. Sehnenverletzungen, schwere Schnittverletzungen
    • Thoraxchirurgie, z.B. Operationen am offenen Herzen, Lungentransplantationen
    • Gefäßchirurgie, z. B. Bypass-Operationen, Amputationen
    • Plastische Chirurgie, z.B. Verbrennungen, Replantationen
    • Abdominalchirurgie, z.B. Tumore, Verletzung innerer Organe
  • Geriatrie (Medizin des Alters)
    • Betrifft grundsätzlich alle Erkrankungen, die auch jüngere Patienten aufweisen. Meistens bestehen im hohen Alter allerdings viele Erkrankungen parallel (Multimorbiditäten) und eine geringere Belastbarkeit.
  • Gynäkologie, Geburtshilfe, Urologie und Proktologie
    • Verlust von Urin oder Stuhl (Inkontinez)
    • Abgehende Winde
    • Häufiges Dranggefühl
    • Häufiger, nächtlicher Gang zur Toilette
    • Schmerzen beim Wasserlassen, Sitzen
    • Schwierigkeiten bei der Entleerung von Blase oder Darm
    • Beschwerden nach Operationen, Schwangerschaft oder Geburt
    • Blasen- und Darmprobleme aufgrund von Multipler Sklerose, Schlaganfall, inkompletter Querschnittslähmung oder frühkindlicher Behinderung etc.
  • Innere Medizin (Atemwege, Herz, Gefäße, Rheumatologie, Stoffwechsel, Immunsystem, Verdauungsorgane)
    • Schmerzbehandlung
    • Atemtherapie
    • Bewegungstherapie
    • Wahrnehmungs-und Sensibilitätstraining
    • Rehabilitation bei Koronarerkrankungen, Operationen, etc.
    • das prä- und postoperative Herz- Kreislauftraining
    • stabilisierende Schienen und Verbände zb. bei Venenerkrankungen
  • Intensivmedizin
    • Pneumonie- und Thromboseprophylaxe
    • Inhalationstherapie
    • Vorbeugung von orthostatischen Dysregulationen
    • Vermeidung von Muskelschwäche sowie Förderung funktioneller Bewegungsabläufe
    • Vermeidung von Druckschäden an Nerven und anderen Geweben
    • Belüftung der einzelnen Lungenabschnitte und Aktivierung der Atemmuskulatur
    • Sekrettransport
    • Erlernen einer weitestgehend schmerzarmen Hustentechnik
    • Entwöhnung vom Respirator
    • Wahrnehmungsschulung
    • Reduzierung von Schmerzen
  • Neurologie
    • Schlaganfall / Hirnblutung
    • Schädel-Hirn-Trauma
    • Morbus Parkinson
    • Multiple Sklerose
    • Querschnittslähmung
    • Operationen an Kopf, Wirbelsäule oder Bandscheibe
    • Neuromuskuläre Erkrankungen
    • Polyneuropathie, Gefühlsstörungen und Ausfälle in Armen und Beinen
  • Orthopädie/Traumatologie
    • Funktionsstörungen und/oder Schmerzen im muskuloskelettalen Bereich 
  • Pädiatrie (Kinder-und Jugendheilkunde)
    • Erkrankungen der Atemwege und der Lunge
    • Erkrankungen im Bereich des Herz- und Kreislaufsystems
    • Onkologische Erkrankungen
    • Erkrankungen des Bewegungsapparates (z.B. Skoliose)
    • Juvenile chronische Arthritis
    • Schädel-Hirn-Traumen
    • Infantile Cerebralparese
    • Prävention – etwa Haltungsschulung etc. (z.B. in Kindergärten, Schulen)
  • Palliativ Care und Onkologie (Begleitung und Betreuung schwerkranker und sterbender Patientinnen)
    • Atemtherapie
    • basale Stimulation
    • Lagerung zur Dekubitusprophylaxe
    • aktive bis hin zur passiven Mobilisierung zur Anwendung
    • Erhalt der Lebensqualität und Selbstständigkeit
  • Sportmedizin
    • Training von Kraft, Ausdauer, Balance und sportspezifischen Bewegungsabläufe
    • Begleitende Maßnahmen während des Trainings und des Wettkampfes
    • verhindern von Fehlentwicklungen und Verletzungen
    • Leistungsoptimierung bei.
  • Chronische Schmerztherapie
    • Behandlung
    • Beratung
    • Copingstrategien
    • Motivation
    • Reintegration Berufsleben
  • Psychiatrie /Mental Health
    • Erarbeitung von Vitalität und Eigenaktivität
    • Unterstützung beim Entwickeln eines zentriertem und kohärentem Körperbewusstsein, um eine selbstbestimmte Lebendigkeit zu sichern
    • spezielle psychomotorische Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper
  • Prävention und Arbeitsmedizin
    • Ergonomieanalysen mit anschließender Maßnahmenplanung
    • Erfassen von physischen und psychischen Belastungen, Arbeitsumgebung und Arbeitssicherheit
    • Bewegungsförderung in Schulen und Kindergärten
    • Teilnahme an Gesundheitsförderungsprojekten 
  • Forschung und Bildung
    • Ausbildung und Weiterbildung an Fachhochschulen, Universitäten und Kurszentren
    • Ausbau der Forschung
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Die Behandlungsmöglichkeiten, die einem Physiotherapeuten zur Verfügung stehen, sind unglaublich umfangreich. Im nächsten Beitrag, der momentan noch in Planung ist, werde ich einige der wichtigsten Therapiemaßnahmen der Physiotherapie vorstellen:-)

Ich hoffe, ich konnte euch mit diesem Beitrag ein bisschen Klarheit bringen und freue mich über den Austausch mit euch. Bei Fragen und Anregungen schreibt mir gerne eine Nachricht!

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